Glücklicher durchs Zähneputzen

Von Bea Eder

Ich weiß ja nicht, was Ihr so beim Zähneputzen macht.

Aber ich habe vor ein paar Jahren etwas entdeckt, das mir deutlich weiterhilft, gut aus dem Tag zu kommen. Beim Zähneputzen. Es ist mein Beitrag zum #WorldMentalHealthDay: 

Vier Gute-Nacht-Fragen

Der Wiener Wirtschaftspsychologe und Berater Dr. Markus Ebner hat eine Technik entwickelt, wissenschaftlich testen lassen und veröffentlicht, die dabei hilft, den Scheinwerfer zu richten auf das, was läuft, was gut klappt, auf die Stärken – und damit zu mehr Erfolg, mehr Sinnhaftigkeit, mehr Gesundheit und mehr, das sage ich jetzt, Gaudi in der Arbeit beiträgt: die vier Gute-Nacht-Fragen (hier der Link zur Original-Veröffentlichung: https://link.springer.com/article/10.1007/s11613-017-0508-2). Meine Elektrozahnbürste summt vier Mal, für jeden Quadranten im Gebiss: vorne oben, vorne hinten, unten vorne, unten hinten – so wie es der Zahnarzt empfielt. Passt perfekt zu den Gute-Nacht-Fragen. Ich stelle sie hier in leicht veränderter Form vor:

  • Was hat mir heute positive Emotionen verschafft?
  • Wo habe ich mich heute lebendig gefühlt?
  • Wem kann ich heute dankbar sein – und wofür?
  • Welche meiner Stärken konnte ich heute ausleben?

Hier ein paar Erläuterungen zu den einzelnen Fragen:

Die vier Fragen:

Was hat mir heute positive Emotionen verschafft? Die Frage ist für die meisten Menschen erstmal recht simpel zu beantworten. In der Regel fielen den Befragten, die Ebner für seine Studie untersucht hat, sinnliche Erfahrungen (Schönes sehen, schmecken, hören), der Wert von positiven Begegnungen und Beziehungen oder Erfolge als Antworten auf die Frage ein. Aber man kann die Frage auch statt mit der Taschenlampe mit einem extrastarken Suchscheinwerfer angehen, also sich fragen: Wo habe ich heute Erhabenes, Witziges, Interessantes erfahren, wo habe ich Gefühle wie Befriedigung, Euphorie, Stolz, Inspiration, Liebe gespürt? Emotionen, die kein Luxus sind, sondern in unserer evolutionären Hardware fest verankert sind! Und die, das wissen wir dank der Emotionsforscherin Barbara Fredricksson, unsere mentale, soziale und seelische Wahrnehmung stärken. Die uns gegen negative Gefühle und Erlebnisse abpolstern und somit eine echte Aufwärtsspirale ermöglichen.

Wo habe ich mich heute lebendig gefühlt? Die Frage wird im allgemeinen etwas weniger sonnig aufgefasst. Denn lebendig fühlen wir uns häufig dann, wenn wir der Schwerkraft des Lebens trotzen. Wenn wir also den zähen Teil einer Aufgabe endlich angegangen und überwunden haben, wenn wir ein schwieriges oder unangenehmes Gespräch angegangen sind oder sogar einen Streit klären konnten, wenn wir mit der quengelnden Tochter bei ihrem neuen Klavierstück ein Stück weitergekommen sind, wenn wir trotz stürmischem Novemberregen joggen waren und erschöpft-durchnässt-fröstelnd-glücklich unter der Dusche stehen. Wer eine 100-prozentige positive Lebenseinstellung von sich oder von anderen fordert, der verleugnet eigentlich das Leben, schreibt Barbara Fredrickson. Lebendig sein heißt daher eben auch mal Gegenwind spüren. Im Schatten frieren. Sich in ein zähes Projekt reinbeißen.

Wem kann ich heute dankbar sein – und wofür? Wir stehen in sozialen Verbindungen und nehmen häufig die anderen, deren Unterstützung, deren Trost, deren Mitarbeit als etwas viel zu Selbstverständliches. Diese dritte Frage hilft, das Selbstverständliche stärker zu wertschätzen, den Fokus auf unsere sozialen Ressourcen zu richten. Die Frage wirkt stärker, wenn Sie den Dankbarkeitsscheinwerfer sehr spezifisch und konkret auf eine oder wenige Personen richten, auf deren Handeln und deren Bedeutung für Sie, als wenn Sie innerlich eine Liste von möglichst vielen Menschen herunterrattern. Sie können die Frage auch gedanklich umdrehen: Was wäre in meinem Leben anders, wenn der oder die fehlen würde, was würde ich ohne ihn oder sie vermissen? Dankbarkeit ist – wie viele andere positive Emotionen – eine Entscheidung! Vielleicht sind Sie ja auch mal einem verstorbenen Mentor oder – ich bin das oft und gerne – der toten Mutter dankbar? Dietrich Bonhoeffer hat geschrieben: „Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.“

Wo konnte ich heute meine Stärken ausleben? Für viele Menschen ist das erstmal die schwierigste der vier Fragen – aber auch die mit dem größten Aha-Effekt. Denn wir sind so erzogen („Stell‘ Dein Licht nicht unter den Scheffel“ etc.), unsere Talente und Stärken doch bitte lieber für uns zu behalten als in die Welt hinauszuplärren. Bis sie dann vielleicht im Nachruf oder in der Todesanzeige gewürdigt werden dürfen. Dabei profitieren von vielen unserer eigenen Stärken auch die Projekte, Partner, Organisationen, mit denen wir zu tun haben. Gleichzeitig zeigen etliche Studien, dass verstärktes Bewusstsein und bewussterer Einsatz der eigenen Stärken das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit enorm steigern. (Der wohl weltweit meistverbreitete Stärkentest findet sich hier und das derzeit beste Buch über den Umgang mit Stärken ist aus meiner Sicht dieses hier.)

So wirkt’s

Zu den Wirkungen der Übung: Viele Rückblick-Techniken stärken erwiesenermaßen das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit derer, die sie praktizieren. Ebner hat in seiner Untersuchung seiner Technik unter anderem folgende Effekte feststellen können: mehr subjektiv erlebte Selbstwirksamkeit; Aufwärtsspirale aus Pull-Verhalten (mehr gezieltes Aufsuchen von stärkenden Situationen/Kontexten) und Push-Handeln (nichtförderliche/unangenehme Situationen früher erkennen, vermeiden und schneller überwinden) und dadurch noch mehr positive und stärkende Beobachtungen; daraus resultierendes verstärktes Durchhaltevermögen usw.

Eine Methode ist immer so gut wie das, was man aus ihr macht. Spielt also mit der Methode! Wie wäre es also, künftig Euer Wochenmeeting in der Arbeit mit den vier Fragen starten zu lassen, vielleicht immer eine Person zu Beginn der Sitzung? Oder vielleicht macht es auch Sinn, die Übung schriftlich festzuhalten, als tägliche Routine (kann aber auch zu einem belastenden Das-auch-noch-To-Do werden, schaut darauf, wie für Euch passt)? 

Ich wie gesagt putze so meine Zähne. Funktioniert ziemlich gut, auch der Zahnarzt ist happy.